Der Morgen dämmert über der alten Abtei Sankt Matthias, über dem Mattheiser Wald zeigt sich erste Morgenröte. Dichter Nebel dampft über der Mosel, scheint mit dem Wasser zu verschwimmen und sich gleichzeitig losreissen zu wollen. In der Stadt ist alles ruhig, die französische Besatzung des verbliebenen, östlichen Tores der Römerbrücke schläft, das Tor ist verschlossen, ebenso geht es im dahinter liegenden Bollwerk zu. Irgendwo bellt ein streunender Hund. Das westliche Brückentor wurde gerade abgetragen. Der Wanderer entdeckt auf dem Wasser ein tänzelndes, schwaches Licht. Das einer einzelnen, schwankenden Laterne auf einem Schiff, eher einem Leichter, beladen mit Eisen aus dem Quinter Walzwerk, das zu Berg weiter nach Luxemburg will. Vielleicht ist es auch ein Bornachen, der speziell auf der Mosel zum Transport der Weintrauben genutzt wurde. Langsam kommt das Licht immer näher, begleitet von einem Ächtzen und Schlurfen, das unseren Wanderer erschaudern lässt. Zwischendurch schnaubt ein Pferd, bis sich das komische Gespann langsam aus den Nebelschwaden schält. Es sind wohl Vater und Sohn, samt drei Pferden. Der Vater gebeugt, die Hände rauh, Striemen und Horn an Hals und Schulter treten durch das zerschlissene Hemd zutage, verursacht durch jahrelange Reibung. Er hat ein großes Beil dabei, um die Leine, die er zieht, bei Gefahr kappen zu können – dies bedeutete meist den Verlust des Gutes – einen Verlust, den er sich nicht leisten kann, ebensowenig, wie ein neues Seil. Zugleich führt er die Pferde, alte Schindmähren, von den Jahren am Fluss und spärlichem Futter ausgezehrt, die sich mit jedem Schritt ins Geschirr legen müssen, ahnend, der Strömung im Kumet auf Gedeih und Verderb ausgesetzt zu sein und fortgewaschen zu werden, soweit nicht stetig Widerstand geleistet wird. Der Sohn, jung und unbeholfen, wird bei seiner Arbeit federnd immer wieder vom Wasserwiderstand zurückgerissen; während er sich noch mehr in die Leinen legt, treten die Adern an der Schläfe empor und die baren Füße suchen verzweifelt Halt auf dem Weg. Das Pflaster wurde von Hochwasser zu Hochwasser mehr unterspült, Löcher tun sich in loser Reihe auf. Obwohl es noch kühl ist Ende April, schwitzt das Gespann. Grußlos ziehen sie so an unserem Wanderer vorbei, den Blick starr nach vorne gerichtet – niemand könnte sagen, was in den Köpfen überhaupt vor sich geht, außer der stumpfen Konzentration auf den Rythmus, in dem sie ihre Arbeit verrichten.
Es sind Halfen. Sie ziehen die Schiffe zu Berge.
Der Begriff der Halfen ist nicht zu verwechseln mit den Halfen oder Halfwinnern/ Halbmännern, die seit dem Mittelalter besondere Landpachtverträge hatten. Und doch kann sich das überschnitten haben, sofern die in der Regel vermögenden Halbwinner in Flussnähe Treidelpferde stellten, die gefragt und entsprechend gut bezahlt waren. Unsere Fünf sind Angehörige einer aussterbenden Spezies. Mit einem Seil, verbunden mit dem Treidelmast eines Schiffes, mussten die Schiffe zu Berg geschleppt – getreidelt – werden, während sie zu Tal mit der Strömung schwammen oder mit einer langen Stange „gestakt“ wurden, um schneller als die Strömung – und damit „vor dem Ruder“ – zu sein sofern sie nicht gar segeln konnten. Und weil dieses treideln oft so langsam vor sich ging, stammt daher vermeintlich auch das Wort „trödeln“. Die Treidelei (vom lateinischen „tragulare“) oder auch Halferei geschah auf dem sogenannten Treidelpfad, der bei uns heute auch Leinpfad heisst.
Wahrscheinlich waren diese Schiffe lange Zeit sogenannte Samoureusen, ein Flachschiff niederländischer Bauart, denn die Rheinschiffe waren aufgrund des Tiefgangs oftmals für die Seitenflüsse nicht geeignet. Diese Samoreusen wurden von mehreren Pferden getreidelt. Karl Heinz Zimmer beschreibt den Treidelzug in seiner ausführlichen und überaus interessanten Arbeit über die Weinschifffahrt auf der Mosel (S. 36) aus einem großen Schiff, einer „Kaine“ („das gewöhnlichste Schiff auf der Mosel“) und einem Bo(h)rnachen. (https://khzsenior.de/downloads/Weinschiffe.pdf) Auf den dort folgenden Seiten kann man anhand der Bilder gut die Größe dieser Gefährte nachvollziehen. Die Bergfahrt von Koblenz bis Trier dauerte – mit 6 bis 12 Pferden, je nach Wasserstand – 8 bis 10 Tage. Übernachtet wurde in entlang der Mosel gelegenen Halfenhäusern, von denen es Einige heute noch gibt.
Treideln war kein Vergnügen, so wurde das „Schiffeziehen“ von Joseph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ältestem Sohn der Kaiserin Maria Theresia, als Strafe verhängt, nachdem er – vermeintlich aufgeklärt – die Todesstrafe abgeschafft hatte (Quelle Wikipedia). Das Ergebnis war für die Bestraften allzu oft das Gleiche.
Das westliche Moselufer war zur Zeit um 1800 im Wesentlichen kaum bebaut, sondern tatsächlich mit Äckern und einzelnen Schuppen bestellt. Wie schonmal dargestellt, tauchen in Unterlagen die Kirchen namens St. Isidor und St. Viktor im Bereich der Römerbrücke bis etwa zur heutigen Hausnummer 25 auf, Gemäuer wurden jedoch nie gefunden. Da nicht getreidelt werden kann, wo Bäume und Büsche stehen, war das Ufer wohl kahl und von verschiedenen kleineren Rinnsalen durchzogen, die zur Mosel strebten.
Aufgrund der wechselvollen Besatzungsgeschichte war eine möglichst freie Sicht auf nahenden Feind durchaus erwünscht. Um die Stadtmauern herum gab es den sogenannten Festungsrayon, meist drei Abschnitte, innerhalb derer, zumindest im 1. Rayon, keinerlei mehrgeschossige Gebäude, zumal nicht aus Stein, errichtet werden durften. Der Wegfall der sogenannten Rayonbeschränkungen bot vielerorts später die Chance zur Schaffung von Parks, Grünstreifen oder auch neuen Wohngebieten wie z.B. der im Historismus oder Jugendstil erbauten Teile von Trier Süd.
So kam es, dass erst im Jahre 1876 auf oder neben dem Gelände des Kaufmanns Eskens, vermutlich Johann Peter Eskens, einem gewissen Wilhelm Zangerle die Erlaubnis erteilt wurde, ein „Kesselhaus mit Schornstein“ zu erbauen. „Fabrik“ muss man sich nun anders vorstellen als heute- das Ganze ging aus einem Wohnkomplex in ein größeres Gebäude mit abfallendem Dach über, an das ein Malzturm angeschlossen war.
Zangerle, später auch mal Zangerlé – wohl mit der Familie Simon der Bitburger Brauerei verwandt – schien recht erfolgreich. Im Jahre 1889 wollte er sich eine dieser neuartigen Sauggas- Motoren- Anlage „BENZ“ der gleichnamigen Firma aus Mannheim einbauen lassen. Sauggasmotoren ersetzten in Mühlen und Darren die etablierten Dampfmaschinen in der Stromerzeugung. Sauggasmotoren waren einerseits sehr kostengünstig, andererseits doch sehr aufwändig zu betreiben, denn je erzeugtem ps benötigten sie (bei Verdampfungskühlung) bis zu 20 Liter Kühlwasser pro Stunde. Obwohl Dieselmotoren teurer in der Anschaffung und im Unterhalt waren, verfügten sie über eine Selbstschmierung und machten damit den Betrieb ungleich einfacher und sicherer, weshalb sie sich bald durchsetzten. Neben dem Transportweg Mosel dürfte sich zu dieser Zeit jedoch die Ansiedlung am Fluss für Zangerle ausgezahlt haben, auch wenn aus dem unvollständigen Schriftwechsel mit der Stadt zur Genehmigung dieser Anlage kein Ergebnis hervorgeht. Sicherlich war dieses Kesselhaus, zumal von einer Einzelperson gebaut, seinerzeit kein kleines Unterfangen, bedenkt man, dass viele Menschen noch in „Fabriken“ von 1-3 Personen in Erdgeschossen von Wohnhäusern arbeiteten. Vieles, was heute entlang der Saarstraße beispielsweise Handel ist, darf man sich als damalige „Fabrik“ vorstellen.
Wilhelm Zangerlé junior, Mitgründer der Treviris und später lange Zeit Arzt in Trier, war geboren Ende 1893. Zwischen der Errichtung der Malzfabrik und der Geburt des Juniors liegen 17 Jahre…In Einwohnerlisten Triers findet sich 1855 ein 16-jähriger Wilhelm Zangerlé: der wäre bei der Geburt des Sohnes dann 54 Jahre alt gewesen. Vielfach ist in den Akten dokumentiert, dass er bei der Stadt noch Mitte der 20er- Jahre um Verschiebung des Kanalisierungsbaues bat, weil er durch Inflation, Steuer etc. kein Geld und nur 200 Reichsmark Miete pro Monat als Einkünfte habe. Laut statistischem Bundesamt lag die Kaufkraft für die Reichsmark 1929 bei 1:40 im Vergleich zum Euro. Zangerle dürfte ein vergleichsweise biblisches Alter erreicht, aber möglicherweise nicht viel Freude daran gehabt haben.
Der Aktenlage zufolge wurde der Komplex bei den Luftangriffen auf die Stadt am 23.12.1944 massiv beschädigt, wie der Ausschnitt aus einem Luftbild der U.S. Airforce zeigt. Oberhalb ist die Luxemburgerstraße zu sehen, dann das eigentliche Wohnhaus, die Fabrik – der weiße Fleck mag der Malzturm gewesen sein. In Richtung Mosel gibt es einen Krater auf dem ehemaligen Waschplatz, einen weiteren in Richtung Mosel, beide gehörten zu den größten an der Luxemburgerstraße. Das Bild lässt vermuten, dass der hintere Teil, das Bootshaus RVT, mit offenliegendem Dach, völlig zerstört ist. Allerdings war dem wohl nicht so, was die Substanz des Hauses anging – da war eher der Rest abrisswürdig.
Nach dem Krieg stellten die Erben Zangerle nämlich den Antrag, eben dieses Gebäude wieder aufbauen zu dürfen. Die abgebildete Bauzeichnung im Antrag zeigt die gleichen kleinen Fenster, die auf den wenigen verbliebenen Bildern des alten Bootshauses zu sehen sind. Auch kann man das nach hinten abfallende Dach dieses Gebäudes sowohl auf alten Bildern als auch den Nachkriegsplänen erkennen.
Und wenn man dann auf dem Luftbild aus den 1960ern hinschaut, findet man genau dieses Gebäude mit dem abfallenden Dach und den kleinen Fenstern: das ehemalige Bootshaus des RVT. In der Tat hätte man gedacht, das ganze Ensemble wäre näher an der Mosel gelegen, aber auch hier zeigen alte Bilder, dass das im Verhältnis zu dem länglichen Gebäude rechts, ehemals Spedition Horstmann und zugleich Pension für Wasserwanderer bzw. „Paddler“, wohl nicht so war. Die Erben Zangerle benötigten es als Wohnraum – und der RVT hatte ja ohnehin keine Boote mehr übrig. So kam es zum Umzug an den heutigen Standort. Da die späteren Zangerles offenbar kinderlos blieben, verfiel das Gebäude, stand lange leer und wurde erst Mitte der 60er Jahre auf Bitten der Bitburger Brauerei abgerissen. Später entstand auf diesem geschichtsträchtigen und wahrscheinlich irgendwie vorbelasteten, verruchten Boden – wie könnte es anders sein – das Eros- Center.
Und heute? Ach ja, da war was…